Die Silberne Halbkugel,
Gruppenfoto © INKO
Würdigung
Es gibt Orte, die Menschen immer wieder anziehen, die von ihnen aus besonderen Gründen bebaut, bewohnt und genutzt werden. Entfällt der Grund, gehen sie wieder und übrig bleiben die Spuren ihrer Anwesenheit, die sich manchmal Schicht auf Schicht aufeinanderlegen. Es ist Jahrhunderte später die Aufgabe der Archäologie, diese Spuren zu sichern, zu lesen und zu bewahren.
Ein solcher Ort ist die Kocherburg bei Aalen, der sich die Initiative Ruine Kocherburg seit vielen Jahren mit großem Engagement widmet. Auf einer Anhöhe in Spornlage gelegen, überragte die Kocherburg in der Bronze- und Eisenzeit wie auch im Mittelalter als dominante Befestigung die Umgebung. Sie bot Schutz und Sicherheit, Überblick über das Geschehen in der Ebene und Kontrolle. Gleichzeitig demonstrierte sie, wer die Macht in der Region ausübte. Dieser Funktion in der Neuzeit entledigt, wurde sie schließlich zum reinen Wohn- und Repräsentationsort, bevor sie 1645 endgültig zerstört wurde.
2007 gründete sich innerhalb des Geschichtsvereins Aalen e. V. die „Initiative Ruine Kocherburg“, um die Reste der Anlagen, die zunächst als Steinbruch missbraucht und später von Wald überwachsen wurden, wieder sichtbar werden zu lassen und sie denkmalgerecht zu sichern. Stück für Stück legten die Mitglieder die Zeugnisse von Aufbau, Nutzung, Verfall, Wiederverwertung und Zerstörung frei und trugen damit wesentlich dazu bei, dass die Höhenburg dem Vergessen entrissen wurde und heute als begehbares Kulturdenkmal sichtbarer Teil der Regionalgeschichte der Ostalb ist.
Vier Bauabschnitte hatte sich die Initiative Ruine Kocherburg vorgenommen, die sie sukzessive und konsequent in nunmehr 16 Jahren abgearbeitet hat. Sie hat dafür Fördermittel und Spenden eingeworben und weiterführende Nutzungskonzepte entwickelt. Dabei vernetzt sich die Initiative eng mit dem Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg, spezialisierten Firmen und Hochschulen. Mit über 10.000 Arbeitsstunden der Vereinsmitglieder handelt es sich um Ehrenamt in seiner reinsten Form. Zu den Aktivitäten zählen ebenso neben einer aktiven Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit auch die Einbindung der Burg in mehrere Wanderwegrouten, das „Ruinenfest“ oder Ausstellungs- und Vortragsveranstaltungen.
Der letzte Bauabschnitt ist abgeschlossen, nicht aber die Aufgaben: Die Pflege- und Unterhaltsarbeiten bleiben bestehen, ebenso die Verpflichtung zu weiterer Forschung und Vermittlung. Große Ziele sind die Verbesserung der Begehbarkeit und Erlebbarkeit, der Einsatz moderner Medien, die aktive Entwicklung der Burg als Lernort und vor allem das Anwerben jüngerer Mitglieder.
Für ihr vorbildliches Engagement wird der Initiative Ruine Kocherburg im Geschichtsverein Aalen e. V. die Silberne Halbkugel des Deutschen Preises für Denkmalschutz 2023 verliehen.
Selbstdarstellung
Obwohl die Reste der ehemaligen Kocherburg komplett überwachsen waren, war in der Bevölkerung von Unterkochen die Erinnerung an sie immer präsent, wie die Namensgebung der Gemeinschaftsschule „Kocherburgschule“ oder des Gemeindeblattes „Kocherburgbote“ zeigte.
Das Kulturdenkmal Kocherburg sollte nicht in Vergessenheit geraten, befand eine kleine, aber sehr engagierte Gruppe aus der Unterkochener Bevölkerung. 2007 gründete sie die Initiative Ruine Kocherburg (INKO), welche im Geschichtsverein Aalen e. V. ihre institutionelle Heimat fand.
Die Initiative machte zur Aufgabe, die Ruine denkmalgerecht zu sichern. Die Kocherburg als wichtiges Relikt der Regionalgeschichte sowie die bronze- bis eisenzeitlichen Befestigungsanlagen im bergwärts gelegenen Gewann Schloßbaufeld sollten als kulturelles Erbe wieder erlebbar werden.
Grundlage aller Aktivitäten rund um die Kocherburg ist das herausragende Engagement der Mitglieder der INKO. Die Gründer Erich Holzwarth, Artur Grimm, Albert Grimm † sowie der heutige Sprecher der Gruppe, Dieter Matzik, als der heutige Sprecher haben unermüdlich das Projekt bis heute maßgeblich bestimmt. Nicht nur die Planung, Organisation und Vorbereitung, sondern auch die praktische Umsetzung von vier Sicherungsabschnitten von 2008 bis 2022 lag weitgehend in ihren Händen. Mitgetragen wird das groß angelegte Sicherungsprojekt von einer tatkräftigen Gruppe von ca. 14 lokalen Helferinnen und Helfern. Insgesamt hat die INKO mehr als 10.000 ehrenamtliche Arbeitsstunden geleistet.
Um den hohen denkmalfachlichen und bautechnischen Anforderungen des Projekts zu genügen, setzte die INKO von Beginn an auf ein professionelles Netzwerk. Zu nennen sind hier die enge Begleitung der Sicherungsarbeiten durch das Landesamt für Denkmalpflege, die Bestandsaufnahme des Tübinger Bauarchäologen T. Marstaller und die archäologische Dokumentation aller freigelegten Mauerzüge und Funde durch die anfangs ehrenamtliche Arbeit der Archäologinnen D. Herrmann und B. Rieger. Ab 2015 begleiteten sie als Ostalb-Archäologie GbR aus Neresheim sämtliche Bodeneingriffe auf dem Ruinenareal. In Kooperation mit der Hochschule für Technik Stuttgart wurde das Kocherburg-Gelände topografisch vermessen und in das Liegenschaftskataster der Stadt Aalen eingebunden. Die fachgerechten Sicherungsarbeiten plante und koordinierte das auf Sanierungsprojekte an historischen Bauwerken spezialisierte ingenieurbürograu Wurst.Wisotzki.GbR aus Bietigheim-Bissingen. Die bautechnische Ausführung der Sicherungsarbeiten übernahm die Leonberger Fachfirma August Wolfsholz Ingenieurbau GmbH.
Die Abstimmung mit dem Forst-BW als Grundeigentümer war stets Aufgabe der INKO. Zu den erbrachten Eigenleistungen zählen das Anlegen von Zufahrts- und Arbeitswegen, das Roden und jährliche Freischneiden des Ruinenareals, die Beseitigung gefällter und umgestürzter Bäume, das Ausgraben von Wurzelstöcken, die Wasserversorgung und die vorbereitende Freilegung verstürzter Mauerreste. Zu nennen ist auch die Bergung von historischen Mauersteinen aus dem Umfeld der Ruine, die Mithilfe beim Säubern der Mauern und bei den archäologischen Funden sowie verschiedene Hilfs- und Zuarbeiten für die Sanierungsfirma.
Die Gesamtkosten für die Sicherungsarbeiten an der Kocherburg betrugen bislang rund 738.000 €. Die Eigenanteile haben die INKO mit ihren Eigenleistungen und -finanzierungen, Spenden von hiesigen Banken, Firmen und Privatleuten sowie Mittel der Stadt Aalen erbracht. Neben bedeutenden Zuwendungen der Denkmalförderung des Landes Baden-Württemberg sowie der Denkmalstiftung Baden-Württemberg war das wichtigste Standbein die Förderung der Dr. Wilfried-Palm-Stiftung.
Einhergehend mit der Sicherung und -pflege widmete sich die INKO auch der kulturtouristischen Vermittlung der Kocherburg. Dabei sollte kein Museums-Charakter entstehen, sondern die Begeh- und Erlebbarkeit stand im Vordergrund. Der historische Hohlweg, der die Talsohle vom Kochertal mit dem Burgareal verbindet, wurde befreit und das Ruinengelände von verstürztem Steinmaterial freigeräumt und neu gestaltet, Ruheplätze mit Tischen und -bänken aufgestellt. Wege und Naturtreppen sind nun mit Holzgeländern versehen, Steillagen und Geländepunkte mit Absturzpotential gesichert. Die Kocherburg ist als Wanderziel in das Wegenetz des Schwäbischen Albvereins aufgenommen worden und in die Wegeführung des Aalener Panoramawegs eingebunden.
Seitdem ist eine ständig wachsende Zahl an interessierten Besuchenden zu verzeichnen. Die INKO bietet regelmäßig Vorträge und Führungen für Schulklassen, Wandergruppen oder Vereine an. Über eine Dauerausstellung im Unterkochener Bezirksamt mit einer repräsentativen Auswahl an Fundstücken kann das Wissen über die Kocherburg zusätzlich vertieft werden. Mehrsprachige Informationstafeln zur Geschichte der Burganlage und der Besiedlungsgeschichte sollen jetzt erarbeitet werden. Veranstaltungen wie die Ruinenfeste, der Kunsthandwerkermarkt und der Internetauftritt ergänzen heute das kulturtouristische Angebot der Stadt Aalen.
Zentrale Aufgabe der INKO wird es künftig sein, auch jüngere Menschen für das Projekt zu begeistern und langfristig daran zu binden, um die dauerhafte Pflege und Instandhaltung des Ruinenareals sicherzustellen.