Die Silberne Halbkugel,
Manuela Busch und Frank Wiemeyer © privat
Würdigung
Gramzow – ein Hotspot der Kultur? Die Uckermark mag ja bekannt sein – aber Gramzow? Wer Gramzow noch nicht kennt, sollte dort unbedingt einmal vorbeifahren. Ein Besuch des ältesten Ortes und der heimlichen Hauptstadt der Uckermark lohnt sich auf jeden Fall!
Idyllisch in der weiten Landschaft gelegen, findet man dort ein ganz besonderes Kleinod: den Speicher Gramzow. Nun sind Getreidespeicher an sich ja nichts Besonderes, doch dieser ist es schon. Denn der 1953/54 errichtete Speicher in Betonskelettweise mit seiner nahezu vollständig erhaltenen Technik gilt als ein sehr anschauliches Zeugnis der Wirtschaftsgeschichte der DDR, als Symbol für Kollektivierung und einstige moderne Technik in der Landwirtschaft. Der Getreidespeicher in Gramzow hat neben seiner wirtschafts- und technikgeschichtlichen vor allem bau- und architekturgeschichtliche sowie sozialgeschichtliche Bedeutung. Seine damaligen Erbauer fühlten sich im Gestaltungsanspruch der Moderne verpflichtet, was bei einem Getreidespeicher auf dem Lande sicher nicht auf den ersten Blick zu erwarten ist.
Nach dem Verlust seiner ursprünglichen Nutzung im Jahr 1991, mehrfachen Eigentümerwechseln und zunehmendem Verfall nahm sich im Jahr 2015 die Bauherrengemeinschaft Manuela Busch und Frank Wiemeyer des eindrucksvollen Industriedenkmals an und setzt sich seitdem in sehr enger und produktiver Zusammenarbeit mit den Denkmalbehörden mit beispielhaftem Engagement erfolgreich für die Sicherung, denkmalgerechte Instandsetzung und Umnutzung des Speichers ein.
Wo einst große Mengen an Getreide lagerten, gibt es heute jede Menge Kunst und Kultur zu erleben. Die neuen Eigentümer Manuela Busch und Frank Wiemeyer sorgten in den zurückliegenden Jahren nicht nur für die denkmalgerechte Sicherung und Sanierung des Speichers, sondern verfolgten auch die Vision, diesen zu einem Industriemuseum mit Ausstellungsmöglichkeiten zu entwickeln – ein mutiges Unterfangen in einer Region, die nicht sehr stark besiedelt ist. In enger Abstimmung mit der Denkmalpflege entstanden einzigartige individuelle Räume, die für Fotografie, Sprache, Literatur, Film und Musik genutzt werden können. Seit dem Tag des Offenen Denkmals im Jahr 2017 können Besucherinnen und Besucher den Speicher in Verbindung mit Veranstaltungen und Ausstellungen erleben. Heute ist der Speicher als Land- und Kulturmarke ein unverzichtbarer baulicher und kultureller Anker im ländlichen Raum. Die Resonanz der Besucherinnen und Besucher aus nah und fern ist Bestätigung und Lohn für den Mut der Eigentümer, Anerkennung für deren Leidenschaft und zugleich auch Ansporn für nächste Vorhaben.
Bestätigung und Lohn soll aber auch die Silberne Halbkugel sein, mit denen das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz das herausragende denkmalpflegerische und kulturelle Engagement von Manuela Busch und Frank Wiemeyer als Eigentümer des Speichers Gramzow würdigt.
Selbstdarstellung
2015 initiierten Manuela Busch und Frank Wiemeyer aus Schwedt/Oder das Projekt „Speicher Gramzow“ mit der Vision, das Gebäude als Kulturgut zu sichern und es in diesem Verständnis zu sanieren. Mit vier Fachleuten aus den Bereichen Elektrotechnik, Stahl- und Innenausbau starteten sie als Team, das mit Wissen, Erfahrung und Leidenschaft an und in diesem Gesamtkunstwerk arbeitete. Nach aufwendigen Reinigungs- und Sicherungsarbeiten wurde in mehreren Bauabschnitten die Gebäudehülle restauriert, der Innenbereich detailliert saniert und das Außengelände angeebnet und modelliert. Es erfolgte die Betonsanierung der Riegel und Stützen, die Reparatur des Speicher- und Schleppdachs parallel zu Fensterneubau und -restauration. Das Gebäude wurde entwässert und abgedichtet, der Keller trockengelegt und mit einer Außentreppe zum Gelände verbunden. Durch Grobpflasterverlegung mit Rückbau auf den Stand von 1954 wurden Verkehrswege und Parkplätze geschaffen. Die Rampe am Eingangsbereich erhielt ihr Geländer zurück. Im Innenbereich wurde die komplette Neuverkabelung der Lichtinstallation, der Verlegung von 1954 entsprechend, als Aufputz mit Bakelit-Kabelschellen und -Schaltern, Graugussunterverteilungen sowie original Motorschutzschaltern Hammerschlag-Optik umgesetzt. Die explosionsgeschützte Lichtinstallation für die 7. und 8. Etage über den Silozellen wurde aktiviert, das Gebäude-Außenlicht analog der historischen Fertigungspläne wieder in Betrieb genommen. Trogkettenförderer, Becherwerke und Lüfter konnten instandgesetzt werden. Das Treppenhaus im Maschinenturm erhielt eine Notlicht-Ausstattung. Auch nach 66 Jahren ist die Standsicherheit mit Nachweis gegeben.
Die Idee ist es, zukünftig den „Speicher Gramzow“ als Industriedenkmal und Kunstort weiter zu beleben. Das Wesensmerkmal der Einmaligkeit des denkmalgeschützten Speichers in seinem technischen, architektonischen, geschichtlichen, politischen und infrastrukturellen Kontext, als freistehendes, weithin sichtbares Bauwerk, mit seiner originalen Maschinentechnik und seinen authentischen äußeren und inneren Oberflächen ermöglicht vielfältige konzeptuelle Perspektiven.
Für die Gestaltung dieses Vorhabens wurde institutionell SpeicherART gegründet und programmatisch in das Themenjahr Kulturland Brandenburg 2021 „Zukunft der Vergangenheit – Industriekultur in Bewegung“ gestartet. Thematische Führungen machen den „Speicher Gramzow“ als ersten Getreidespeicher, der nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet der DDR erbaut wurde und Prototyp aller folgenden Speicher- und Silobauten war, in seinen Dimensionen erlebbar. Auf der 0-Meter-Ebene des Gebäudes, im Kellergeschoss und in den auf das Silo aufgesetzten Verteiler- und Beschickungsböden entstanden individuelle Galerien für genreübergreifende künstlerische Präsentationen, ausgewählte Workshops, Seminare, Tagungen, Messen und Feierlichkeiten in außergewöhnlicher Atmosphäre.
In Ausstellungen, Konzerten und Lesungen präsentieren Künstlerinnen und Künstler temporär auf zehn Etagen ihre künstlerische und persönliche Begegnung mit dem kulturhistorischen Gebäude.