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Die Silberne Halbkugel,

Andrew J. und Christine Hall
2023 DNK Silberne Halbkugel Andrew J. und Christine Hall

Andrew J. und Christine Hall © Hall Art Foundation

Würdigung

Die wohl tausendjährige Geschichte des Derneburger Schlosses in Niedersachsen ist außergewöhnlich. Sie zeigt, was Baudenkmale alles aushalten, ohne unterzugehen: Gebäude und Freiflächen waren Burg, Mönchs- und Nonnenkloster, evangelisches Damenstift, Rittergut, Domäne, Lazarett, Flüchtlingsunterkunft sowie Altenheim. Von 1974 bis 2006 wohnte und arbeitete der Künstler Georg Baselitz in Derneburg. Seither sind die Bauten im Tudorstil – entworfen vom berühmten hannoverschen Hofarchitekten Georg Ludwig Friedrich Laves – und der bedeutende englische Landschaftspark des frühen 19. Jahrhunderts wieder in einer Hand. Christine und Andrew J. Hall, Sammler von Kunst der Nachkriegszeit, erwarben die Anlagen, kauften Grundstücke hinzu und begannen mit dem Architekten Tammo Prinz die langwierige denkmalgerechte Instandsetzung. Nun ist diese bedeutende Ornamental Farm des 18. Jahrhunderts nach langer Zeit wieder erlebbar. Die zahlreichen Räume der Gebäude dienen als Ausstellungsräume für die Kunstwerke, der Landschaftsgarten wird sukzessive zum Skulpturenpark. Nach und nach entsteht hier eines der größten Museen für zeitgenössische Kunst im Privatbesitz in Europa.
Dieses angelsächsisch geprägte, mäzenatische Engagement für das baukulturelle Erbe durch konsequente Denkmalpflege und Neunutzung ist außergewöhnlich. Die Einladung an die interessierte Öffentlichkeit, alte Bau- und Gartenkunst sowie neue Kunstwerke in immer anderen Kombinationen zu erleben und die damit verbundene Vermittlungsarbeit sind ein großes Geschenk für Region und Land. Mit der Silbernen Halbkugel des Deutschen Preises für Denkmalschutz sollen diese vorbildlichen Leistungen gewürdigt werden.

Selbstdarstellung

Andy und Christine Hall sammeln seit fast 30 Jahren Kunst und gründeten 2007 ihre Hall Art Foundation. Das Ehepaar hat sich mit seiner Stiftung der Herausforderung gestellt, einzigartige Ausstellungsorte zu finden, an denen es seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen kann.
Reading, Vermont – Der Beginn: 2009 begann die Hall Art Foundation mit dem Umbau der Lexington Farm in Reading, Vermont, eines ehemaligen Milchviehbetriebes aus dem frühen 19. Jahrhundert. Nach drei Jahren der Restaurierung und Umgestaltung waren in zwei Bauernhäusern und drei Scheunen 6.000 m² Ausstellungsflächen entstanden. Sie sind von Weiden, Heuwiesen und ausgedehnten Waldgebieten umgeben; ein Nebenfluss des Black River speist einen Wasserfall.
Die in Vermont durchgeführten Arbeiten haben aber Ähnlichkeiten mit denen in Derneburg. Auch die Gestaltung der Freiflächen und der Landschaft sind wesentlicher Bestandteil des Entwicklungsplans. In Vermont wurden viele Erfahrungen gesammelt, um das Gleichgewicht zwischen historischer Erhaltung, nützlicher Anpassung und Zweckbestimmung für die lokale und regionale Gemeinschaft zu schaffen.
North Adams, Massachusetts – Gebäude für die Sammlung am MASS MoCA: Die Hall Art Foundation pflegt eine Ausstellungspartnerschaft mit dem Massachusetts Museum of Contemporary Art (MASS MoCA), dem größten Museum für zeitgenössische Kunst in Nordamerika. Im September 2013 eröffnete die Stiftung eine Langzeitinstallation von Skulpturen und Gemälden Anselm Kiefers in einem großen Ausstellungsgebäude auf dem Campus des MASS MoCA, entworfen von Bill Katz und Alexander Haviland. Die Reste einer verlassenen Textilfabrik wurden dabei adaptiert. Der Maßstab der historischen Strukturen wird bewahrt. Auch hier gestaltete die Stiftung das Gelände, um dort Skulpturen im Freien zu präsentieren.
Derneburg, Gemeinde Holle, Landkreis Hildesheim, Niedersachsen: 2011 begann die Hall Foundation mit einer umfassenden Instandsetzung und Restaurierung von Schloss und Park Derneburg. Nach Abschluss des ersten Bauabschnittes 2015 wurde das Museum zunächst nur nach Voranmeldung geöffnet. Seit 2020 ist es für den allgemeinen Besuch geöffnet. Ein ehrgeiziger Entwicklungsplan unterstützt das neue Besucherformat.
Gebäude und Park in Derneburg erfordern aufgrund ihrer reichen und komplexen Geschichte eine sorgfältige Entwicklungsstrategie.
Das Anwesen wurde wahrscheinlich im 10. oder 11. Jahrhundert als Herrensitz gegründet. 1213 entstand hier ein Augustinerinnenkloster, das im 14. Jahrhundert von Zisterziensern übernommen wurde. Nach der Reformation nutzte ab 1543 ein evangelisches Damenstift die Anlage. Doch der Rekatholisierung des Bistums Hildesheim folgte die Rückkehr des Zisterzienserordens. Nach den Zerstörungen des 30-jährigen Krieges wurde ehrgeizig wieder aufgebaut – ein Großteil der erhaltenen Bausubstanz stammt aus dieser Zeit zwischen 1730 und 1750. 1803 säkularisiert, von Napoleons Truppen beschlagnahmt und geplündert, schenkte nach dem Wiener Kongress 1815 König Georg III. von England und Kurfürst von Hannover die verwahrloste Klosteranlage an die Grafen von Münster.
1846 entwarf der hannoversche Architekt Georg Ludwig Friedrich Laves den grundlegenden Umbau der Gebäude zu einem Herrenhaus nach englischem Vorbild, wobei die barocke Kirche größtenteils abgerissen wurde. Aus dem Gelände wurde ein romantischer Landschaftspark mit ausgedehnten Wegen um die klösterlichen Karpfenteiche herum. Die manchmal unüberlegten Entscheidungen aus dieser Zeit führten bis heute zu komplexen Sanierungs- und Erhaltungsfragen.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde Schloss Derneburg als Lazarett genutzt, danach von der englischen Armee. Einige Jahre lebten Flüchtlinge hier, bis die Familie von Münster zurückkehrte und wieder Landwirtschaft betrieb. 1957 zerstörte Brandstiftung viele der historischen Scheunen und die Brauerei, die dann teilweise wieder aufgebaut wurden. Schloss und Park wurden 1974 vom Künstler Georg Baselitz erworben, der das Schloss zu seinem Wohnsitz und Atelier machte.
2006 erwarb das Ehepaar Hall das Anwesen von Baselitz, die angrenzende Klosterdomäne vom Land Niedersachsen sowie eine Reihe weiterer Immobilien: den Hopfengarten, die Fischermeisterhäuser, die Schlossschenke und das Pyramidenmausoleum.
Die Hall Art Foundation besitzt eine der größten Sammlungen von Baselitz' Werken weltweit. Die Bewahrung des Erbes dieses Künstlers ist ein Schwerpunkt der Entwicklungspläne und Ausstellungen in Derneburg. Sein ehemaliges Bildhaueratelier im Schloss und sein 1995 erbautes neues Ateliergebäude im Schlosspark wurden als Ausstellungsräume adaptiert und sind heute der Öffentlichkeit zugänglich.
Die einzigartige Vision, die Beharrlichkeit und die Begeisterung der Halls und des Geschäftsführers Alexander Haviland bringen das komplexe Unterfangen voran: Die ineinander verschränkten Zeitschichten der Kloster-, der Herrenhaus- und der Künstlerhaus-Nutzungen sollen bewahrt und lesbar gemacht werden. Gleichzeitig sind die funktionalen und gesetzlichen Anforderungen des Betriebes von Ausstellungsräumen, des Parkunterhaltes und des Besucherbetriebes zu lösen. Jeder Raum fordert eine individuelle Herangehensweise an die Erhaltung und Anpassung, wobei ein nuanciertes, aber harmonisches Gesamtergebnis erhalten bleiben soll.
Das Leitungsteam des Kunstmuseums Schloss Derneburg stimmt sich mit einer Vielzahl von Akteuren ab – in erster Linie mit der Gemeinde Holle und Behörden des Kreises und Landes Niedersachsen, aber natürlich auch mit Ingenieuren, Architekten, Archivaren und Denkmalpflegern. Die Gebäude, die Materialien und die unterschiedlichen Gegebenheiten erzählen ihre eigene Geschichte und bringen eine kritische, aber stille Stimme in die Diskussion ein.
Das geplante Ergebnis wird eines der größten Museen für zeitgenössische Kunst in Europa sein mit einer Gesamtausstellungsfläche von mehr als 10.000 m² und einem rund 30 ha großen Skulpturenpark.
Während des größten Teils seiner Geschichte war Schloss Derneburg für die Öffentlichkeit unzugänglich. Nach und nach wird der Zugang für ein regionales, nationales und internationales Publikum weiter ausgebaut werden – und zwar nicht nur für Liebhaber zeitgenössischer Kunst, sondern auch für diejenigen, die sich für Geschichte, Architektur, Gartenkunst oder Kulturlandschaft interessieren.

www.sdmuseum.de