Medienpreis,
Laura Weißmüller © Lisa Hörterer
Würdigung
„Gropius W33 gegen Gebot zu verkaufen“ lautete die unscheinbare Zeitungsanzeige, mit der das Haus Auerbach in Jena in den frühen neunziger Jahren angeboten wurde. Auch bei Barbara Happe und Martin Fischer erregte die 1924 entstandene Villa, die Position 33 im Werkverzeichnis des Bauhaus-Gründers Walter Gropius ist, auf diese Weise keine Aufmerksamkeit. Sie lernten das Haus erst kennen, nachdem es seine Besitzer der Jenaer Universität angeboten hatten und der Zoologe und seine Frau, die gerade in die Stadt gekommen waren, händeringend eine neue Bleibe suchten.
„Das Haus wird dich binden“, zitiert Laura Weißmüller in ihrer mehrseitigen Reportage „Die Gralshüter“ Fischers Doktorvater. Und so war es: Happe und Fischer verliebten sich in diesen Gropius-Bau, seinem desolaten und entstellten Zustand zum Trotz. „Es hat abscheulich ausgesehen“, erzählt die Kulturwissenschaftlerin Happe. Doch ihr Mann ergänzt: „Es kam die blanke Gier. Wir haben das Haus gesehen und sofort in Gedanken gewusst, wie man darin lebt.“ Ebenso anschaulich wie lebendig schildert Laura Weißmüller in ihrem Artikel im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“, in deren Feuilleton sie seit 2009 als Redakteurin für Architektur, Stadtplanung und Design wirkt, einen Hausbesuch im doppelten Sinn. Sie gestaltet ihn zu einer Begegnung mit Menschen, die einem historischen Bauwerk verfallen sind, und verwebt auf beispielhafte Weise die Geschichte des Hauses Auerbach mit der Leidenschaft seiner heutigen Bewohner, die es mit viel Engagement renovierten und so erst wieder zum Sprechen und Strahlen brachten.
Dabei ging es nicht nur um die Sanierung der Bausubstanz, sondern auch um die weitgehende Wiederherstellung der ursprünglichen Innengestaltung: Laura Weißmüller nennt die stattliche Villa einen „Zauberkasten aus Licht und Farbe“. „Kein Mensch hat gewusst, dass das erste Haus von Gropius in Pastellfarben ist. Und zwar in 37 verschiedenen“, lässt sie Martin Fischer berichten und erzählt, wie das Paar zur Korrektur des Irrtums beitragen konnte, das umfassende Farbkonzept des Bauhaus-Schülers Alfred Arndt wäre vor hundert Jahren gar nicht realisiert worden.
Nebenher erfährt man, dass Besitzer und Nutzer eines Denkmals sich zuweilen auch darüber beklagen können, dass die behördliche Denkmalpflege zu kompromissbereit war: „Das hätte man uns nicht erlauben dürfen“, moniert Fischer im Hinblick auf die originalen cremefarbenen Badezimmerfliesen, die seine Frau und er aus Unwissenheit gegen weiße ersetzten.
Auch nach rund dreißig Jahren fänden sie noch immer etwas, das noch nicht dem Originalzustand entspricht, so Laura Weißmüller. Zu den im Titel erwähnten „Gralshütern“ wären sie aber nicht geworden, indem sie sich als reine Nachlassverwalter oder Denkmalpfleger verstehen. Vielmehr laden sie regelmäßig Architekturklassen, Künstlerinnen und Künstler und Kulturinteressierte in ihr Haus ein, um mit ihnen zu diskutieren. Die Autorin vermutet: „Vielleicht ist die Freude von Barbara Happe und Martin Fischer an ihrem Haus deswegen so ansteckend: weil sie es wirklich entschlüsseln wollen, statt sich mit ihm zu schmücken, wie es viele Menschen mit teuren Designklassikern tun.“
Laura Weißmüllers Reportage, die durch ein ansprechendes Layout unterstützt wird, macht Lust, das Haus Auerbach und seine Bewohner kennenzulernen. Für diese exzellente Darstellung des Lebens in und mit einem Denkmal gebührt Laura Weißmüller der Medienpreis des Deutschen Preises für Denkmalschutz 2023.
Selbstdarstellung
Laura Weißmüller studierte Kunstgeschichte, Teilgebiete des Rechts und Kommunikationswissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin. Bei der Süddeutschen Zeitung absolvierte sie ein Volontariat und wurde 2009 dort Redakteurin für Architektur, Stadtplanung und Design. Sie schreibt überdies für Baumeister, AD Architectural Digest, Häuser oder Monopol sowie Aufsätze in Büchern. An der TUM in München unterrichtet sie Architekturkritik.
Laura Weißmüller zu Ihrer Arbeit: „Seit 2009 schreibe ich über Architektur. Für mich ist das ein großes Privileg, weil es mir hilft, die Welt zu verstehen. Denn in der Architektur manifestiert sich immer auch ein Stück Gesellschaft. Wer baut? Auf welchem Grund? Für wen? Und was hat es für Auswirkungen für Mensch und Natur? Ähnlich wie in Gemälden lässt sich so auch ein Gebäude lesen und verstehen. Auch der Umgang mit unserem baulichen Erbe, geschützt oder nicht, sagt viel über unsere Zeit aus.
Die Wegwerfgesellschaft, gepaart mit dem Wunsch nach möglichst hohem Profit zeigt sich schließlich auch in Form von Abriss und Zerstörung. Umso schöner war ein Besuch wie in Jena im ersten Privathaus von Walter Gropius. Weil er gezeigt hat, dass das bauliche Erbe eben nicht nur Belastung, sondern auch Quelle zeitgenössischer Lebensfreude sein kann.“
Die Reportage können Sie online im Süddeutsche Zeitung Magazin lesen