Die Silberne Halbkugel,
Gruppenfoto © Verein Historische Brücke Hartmannshain e. V.
Würdigung
Hartmannshain – heute ein Teil der Gemeinde Grebenhain – ist ein idyllisch gelegener Weiler im Vogelsbergkreis mit rund 220 Einwohnern, der bis in die 1970er Jahre den höchstgelegenen Bahnhof Hessens auf 574 m ü. NN beheimatete. Um die enorme Steigung zu diesem Bahnhof zu bewältigen, wurde 1905 ein Geländeeinschnitt angelegt. Eine elegante Basaltsteinbrücke –Hauptdarstellerin unseres Denkmaldramas – überspannte ihn, damit die Landwirte aus Hartmannshain zu ihren Feldern und Wiesen im östlichen Teil der Gemarkung gelangen konnten. 1975 hielt zum letzten Mal ein fahrplanmäßiger Schienenbus in Hartmannshain. Kurz darauf wurde auch der Güterverkehr eingestellt. Ein Jahr später waren die zugehörigen Schienen demontiert und Hartmannshain endgültig vom Eisenbahnnetz getrennt. Die Verwahrlosung der zur Eisenbahninfrastruktur gehörenden Baulichkeiten – darunter die denkmalwerte Brücke – begann.
Der Sanierungsstau ließ 2017 die Gemeinde Grebenhain einen Beschluss zum Abbruch der Brücke treffen, dem die Denkmalbehörden aufgrund der nachgewiesenen Unwirtschaftlichkeit schließlich zustimmten. Doch diese Entscheidung löste in Hartmannshain offene Empörung aus! Eine Bürgerinitiative gegen den Abriss gründete sich – Vorgängerin des heutigen Fördervereins. Ein Viertel der Einwohnerinnen und Einwohner Hartmannshains traten dem Verein bei. Es ist der Überzeugungskraft dieser Gruppe zu verdanken, dass sich mehrere Fördermittelgeber zusammen taten, um die Sanierungskosten von rund 385.000 € zu finanzieren. Noch beeindruckender aber ist, dass es dem Verein glückte, 33.000 € Eigenmittel beizubringen – von den vielen hunderten Stunden ehrenamtlicher Eigenleistung ganz zu schweigen.
Viel wäre hier zu erzählen vom Können der beauftragten Architektin und der ausführenden Handwerker: Vom mühsamen Entrosten, Korrosionsbehandeln und Ergänzen des gusseisernen Geländers, vom Bergen des unter einem Asphaltbelag verborgenen historischen Straßenpflasters und seiner Neuverlegung, von der sorgfältigen Wasserableitung, von der Stein- und Fugenbehandlung usw.
Dem Verein Historische Brücke Hartmannshain e. V. ist es zu verdanken, dass die Brücke heute nicht nur ein identitätsfördernder Bestandteil von Hartmannshain sowie ein beliebter Startpunkt des abschüssigen Vulkanradweges ist. Die Brücke ist auch ein Symbol der bürgerschaftlichen Aneignung des eigenen baukulturellen Erbes auch gegen behördliche Entscheidungen. Wir gratulieren Hartmannshain – dem „gallischen Dorf der hessischen Denkmalpflege“.
Selbstdarstellung
Die elegante Bogenbrücke aus heimischem Basaltgestein, die am Ortsrand von Hartmannshain den Vulkanradweg überspannt, ist als Kulturdenkmal der Bau- und Verkehrsgeschichte ein unübersehbares Relikt der einstigen Erschließung des hohen Vogelsberges durch die Eisenbahn 1901–1906. Aufgrund der Topografie wurde die Eisenbahnstrecke in mehreren Schleifen und durch Geländeeinschnitte angelegt. Kurz vor dem Bahnhof Hartmannshain entstand ein 600 m langer und bis zu 10 m tiefer Einschnitt. Über ihn wurde eine Brücke errichtet, die die architektonischen Ideen der Heimatschutzbewegung widerspiegelt: Die Eisenbahn sollte sich in Landschaft und Bautradition des Vogelsberges einfügen. Bewusst entstand sie in traditioneller Bauweise als Bogenbrücke mit Basalthaustein und bossierten Sandsteinquadern.
Der Bahnhof Hartmannshain befand sich am höchsten Punkt der Vogelsbergbahn, auf der Wasserscheide Rhein-Weser. Bis zum Bahnbau war Hartmannshain ein armes Dorf, durch Kleinlandwirtschaft, Handwerk und Tagelöhnerei geprägt. Nun fanden nicht wenige Einwohnerinnen und Einwohner als Beschäftigte bei der Eisenbahn ein Einkommen und schnell entdeckten Touristen aus dem Rhein-Main-Gebiet die Vogelsbergbahn. Als Tagesausflügler kamen Wanderer und Skisportler – bis in die 1960er Jahre im Winter sogar in Sonderzügen zwischen Frankfurt und Hartmannshain. Viele Bilder vom Bahnbetrieb in Hartmannshain wurden von der Brücke gemacht, die zudem von Wanderwegen genutzt wurde.
1975 endete der Personenverkehr auf der Vogelsbergbahn, kurz darauf der Güterverkehr. Die Gleisanlagen wurden abgebaut. Bald darauf wurde die brachliegende Trasse für einen Radweg umgenutzt. Aufgrund seiner Lage am höchsten Punkt des Vulkanradwegs wurde Hartmannshain schnell zum beliebten Einstiegspunkt für Radtouristen und Longboarder, die ab hier bergab in Richtung Frankfurt fahren können.
Die bauliche Unterhaltung der Hartmannshainer Brücke blieb weiterhin aus, obwohl die Brücke 2005 als Denkmal eingetragen worden war. Wegen großer Schäden wurde 2013 das schon vorher nicht mehr befahrbare Bauwerk auch für Fußgänger gesperrt. Im Dezember 2016 stimmte die untere Denkmalschutzbehörde, entgegen dem Votum des Denkmalbeirates des Vogelsbergkreises, dem von der Gemeinde Grebenhain zunächst angestrebten Abriss der Brücke zu.
In Hartmannshain löste das Bekanntwerden der Abrissentscheidung Entsetzen aus, war die Brücke doch die einzige noch sichtbare Erinnerung an die bedeutende Zeit als Bahnstation und „Eisenbahnerdorf“. Der bei der Entscheidungsfindung übergangene Ortsbeirat von Hartmannshain sprach sich bereits am 5. Januar 2017 entschieden gegen die Abrisspläne aus. Eine Bürgerinitiative formierte sich. Über eine Petition kamen insgesamt 1.424 Unterschriften zusammen, zum Teil aus dem gesamten Bundesgebiet. Knapp die Hälfte der rund 220 Einwohner kam am 26. Januar 2017 zu einer kurzfristig einberufenen Bürgerversammlung mit Grebenhains Bürgermeister zusammen.
Am 6. März 2017 gründeten 26 Bürger den Förderverein Historische Brücke Hartmannshain, um konkrete Schritte zur Rettung des Bauwerks zu gehen und Spenden für eine Restaurierung zu sammeln. Es war absehbar, dass die Gemeinde nur einen geringen Teil der Kosten würde übernehmen können. In Arbeitseinsätzen wurden Büsche zurückgeschnitten, Unkraut beseitigt, Fugen gereinigt, lose Steine entfernt, für eine bessere Ableitung des Regenwassers und eine provisorische Abdichtung gesorgt.
Hinweisschilder am Vulkanradweg sollten die Öffentlichkeit auf den drohenden Abriss der Brücke und deren angestrebte Rettung aufmerksam machen. Auf große Resonanz stieß am 31. Mai 2018 der vom Förderverein veranstaltete „Brückentag“ am Einstieg in den Vulkanradweg in Hartmannshain. Bei sonnigem Wetter nutzten etwa 500 Menschen von nah und fern die Möglichkeit, etwas über das denkmalgeschützte Bauwerk und seine Abrissbedrohung sowie über die ehrenamtlichen Hartmannshainer „Brückenretter“ zu erfahren. Am 26. Juli 2018 besichtigte
Dr. Markus Harzenetter, Präsident des Hessischen Landesamts für Denkmalpflege, mit einer Delegation aus Denkmalpflegenden und Vertreterinnen und Vertretern der Kommune, die Brücke. Eine grundhafte Sanierung, finanziert durch Fördermittel, wurde in Aussicht gestellt. Weitere Aktionen, wie die weihnachtliche Illumination der Brücke, machten auf die Kampagne zur Rettung des Baudenkmals aufmerksam.
Die Gemeindevertretung von Grebenhain sprach sich für die denkmalgerechte Instandsetzung der Hartmannshainer Brücke aus unter dem Vorbehalt, dass die Fördergelder verbindlich fließen. Am 14. April 2019 konnte der Verein rund 33.000 € an privaten Spenden zur Sanierung der Brücke übergeben. 140.000 € hatte bereits die Deutsche Stiftung Denkmalschutz zugesagt, eine Summe in ähnlicher Höhe kam vom Hessischen Landesamt für Denkmalpflege. 25.000 € hatte der regionale Energieversorger OVAG bereitgestellt. 69.000 € betrug der Anteil der Gemeinde Grebenhain. Am 30. Mai 2019 fand, wiederum mit vielen Besuchern, der zweite „Brückentag“ statt. Die Restaurierungsarbeiten begannen am 25. Mai 2021 und waren vor Weihnachten beendet. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 385.000 €.
Am 22. Juli 2022 konnte der Vorstand des Fördervereins den mit 7.500 € dotierten Hessischen Denkmalschutzpreis in der Kategorie Ehrenamt der Hessischen Staatskanzlei entgegen nehmen.
Auch nach dem Abschluss der Restaurierungsarbeiten übernimmt der Förderverein weiterhin die Pflege der Brücke und die Gestaltung des Umfelds sowie das Einwerben benötigter Spenden.